…und bestellt per Check einen Eisberg aus Alaska
Wasserballaden
Inhalt
Einleitung mit 4 Gedichten
(Geschichte: Regenmacher)
Macht und Magie: 4 Gedichte
Interkontinentales Triptychon
(Auswahl: 13-14-15 + 8 Gletscherzunge)
Geschichte: Wasserfälle)
Kontinentales Wassersurfen
(Geschichte: Evian-Coke)
3mal Lateinamerika (17-18-19)
3mal Afrika
Unterbrochen von einer Quadrologie
3mal Asien
gefolgt von einer Vietnam Trilogie
(Lourdes Wasser; Wasser, zu denen man pilgert)
Schlussgedicht
Einstimmung
Wehe wenn es vom Napf
losgelassen und in die Tobel stürzt
das Wasser
und immer neue Schrammen
Täler und Tobel gräbt
wie Ameisen
Es tropft
es tropft und tropft
wie das Ticken einer Uhr
aus dem rostigen Hahn
tropft Wasser im Takt
es tropft vertropft
entleert sich dennoch nie
sind es Menschenzeichen
Fortsetzung einer Geschichte
vom Rost und Blut
wenn in der Abendsonne
Tropfen rot erglühen
ein Verbluten
langsam in der Nacht
ein sinnloses Vertropfen
vielleicht ein Weinen
weil sich niemand
um den Hahnen kümmert
Selbst als wir brav und fromm waren
selbst als wir glaubten, Gott liesse sich mit Gebet erweichen
hatten wir keine Macht
über Berg und Himmel
und
das Wasser schon gar nicht
Wir liefen die wilden Bäche ab
knieten nieder
sprachen sanft zu ihnen
tranken küssend ihr Wasser
Wir wussten
wenn Gewitter aus dem Westen kamen
aus dem Bernischen
diese Bäche schnell zu Baggern wurden
nicht nur spülten sie die Tobel aus
sondern schändeten auch die Fluren
alles ohne Sinn
für uns die glaubten
Wir segneten sie den Sommer durch
liefen schmeichelnd ihre Ufer ab
von Armut begleitet
Eins wurde bald uns klar
wir hatten keine Macht
über Berg und - Wasser schon gar nicht
von Ohnmacht erobert
Wir beteten und segneten
dennoch erreichten wir sie nicht
wir wässerten heilig und weihten
Wasser heilige Wasser
Regen
tagelang
regnete es bei uns im Hinterland
machte alle trüb und traurig
es regnete
tagelang
hing dieser Regen in den Tobeln
fand nicht mehr 'raus
es regnete
tagelang
war alles feucht und nass
dem zerreissen aller Nerven nah
es regnete
Eis
Ein Gebet
Eis
ich habe Angst vor Dir
erobere nicht die Strasse
um Heimkehrer am Wochenende
sterben zu lassen
bleib auf dem Dach
form dir deine Zapfen
und tropf tagsüber
den Frühling ein
bleib auf dem Weiher
werd fester dicker
aber wag dich ja nicht
auf die Strass
bevor mein Vater heimgekehrt
vom Holzen im Wald
Macht und Magie
4 Gedichte
Gletscherzunge
immer wieder gingen wir
zur Grimsel
und freuten uns
dass die Aletschgletscherzunge schmolz
jedes Jahr ein wenig mehr
langsam
meterweise
wir glaubten an den Sieg des Sommers
und freuten uns
Jahre später
kamen Warner
die darin nichts Gutes sahen
und warnten uns
das konnten doch nur Städter sein
war es denn nicht gut
wenn ein Gletscher schmolz
und warnten uns
Heute ist
der Gletscher weg
geblieben ist Geröll
traurig ist der Älpler
keine rude Schönheit mehr
ein Schlachtfeld nur
ohne Sieger
traurig ist der Städter
weg das Wasser
gestohlen von Werken der Kraft
ein paar wilde Blumen im Sommer
drunten tief im Tal
geistert durstet
ungetaufte Vergangenheit
nach Weihwasser
Ich habe keine Badewanne
im Kreis 5
sie hätte keinen Platz
wo auch hin damit
wenn ich unter der Dusche stehe
im Kreis 5
denke ich an Afrika
das draussen vorbeimarschiert
selbst des Morgens
im Kreis 5
eins ist immer klar
Gott die Wanne
mir die Dusche
Sagenhaft
Es gab einmal
Es gab einmal
einen Gomser Bauer auf der Alp
der wollte für den Winter
einen Gletscher kaufen
warum? wurde er gefragt
Statt einer Antwort meinte er
mit dem ewigen Eis zusammen
könnten er und Vieh nicht untergehen
warum? im Eis allein
Niemand wusste
was von einem solchen Mann zu halten sei
und wartete ab
bis eines Sommers der Gletscher
donnernd aus Wut zur Tiefe fuhr
warum? so zu Tode fahren
Die Leute sagten zueinander
mit Schnee und Eis
lässt sich nicht spielen
unberechenbar sind ihre Kräfte
selbst ein Gott beherrscht sie nie
warum? das bleibt Geheimnis
Sagenhaft und abermals sagenhaft
Der gestohlene See
Wauwil besass einst einen schönen See
bis eines Nachts die Blitze miteinander kämpften
einer schoss den andern ab
furchtbare Donnerschläge
die Angst der Menschen dem Tode nahe
bis es einen Urknall gab
unbeschreiblich laut und hart
am anderen Tage war der See verschwunden
fort und weg das Schloss darauf
nur verrusstes Moos und Brandgeruch
seither
verschwunden Schloss und See
mit der Königin vom Hinterland
in der Tief
im Moos
die Lust der Traum
Die einen sagten dass Gott es zugelassen
den furibunden Mächten hätte er
nach gar viel Schmeicheleien zugestanden
"Wenn ihr es schafft
dann könnt ihr sie haben
die Fee das Schloss den See"
Und es geschah
Selbst Gott kann sich verrechnen
wenn
es um Napfgewitter geht
Triptychon menschlicher Verrücktheit
Aralsee
Hyazinthen
verschleppter Eisberg
I.
Der Aralsee
Wo
ein Meer starb
wurde zum toten See
zur Salzwüste ist es jetzt erstarrt
wo in Tausenden von Jahren
die wilden Reiter aus der Tundra
entlang zum Schrecken aller gegen Westen jagten
wo aus Überheblichkeit
Bauern rund herum befohlen wurde
anzubauen spritzen wegzuwerfen
wo vor den Augen einer Generation
ein See verschwand
120mal so gross wie unser Bodensee
wo Volksvertreter einen See
wie Stalin Menschen mordeten
immer prahlend ein Paradies zu schaffen
wo das Ministerium für Wissenschaft bestätigt
später auf Befehl leicht alles wieder neu zu machen
das Volk kann alles - hiess es
wo jetzt das Volk
traurig ganz tief traurig
keine Tränen bloss Salz in den Augen
rund um den Aralsee
II.
Die schönen Monster:
Wasserhyazinthen im Viktoriasee
einmal
vor langer Zeit
brachte einer
aus der neuen Welt
eine Blume mit
legte sie aufs Wasser
irgendwo in Afrika
wo sie nie mehr starb
einmal
vor hundert Jahren
nannten Menschen Hyazinthen schön
sie blieben Sterne auf den Seen
unbemerkt der Fluch
die monsterhafte Fee
frass langsam einen See
sie selbst
der unsterbliche Parasit
es war einmal
ein paradiesischer Schlendrian
heute trödeln Hunderte von Forschern
Hyazinthe und Hochglanzpapier
leben wohl zusammen
derweil der See erstickt
von der Oberfläche her
victoria untergeht
III.
Der verschleppte Eisberg
mit Geld ist alles möglich
sagt ein reicher Saudi
und bestellt
per Check
einen Eisberg aus A-las-ka
mit Planung alles geht
ein Schlepperbüro macht uns das
nur los
schwimmend muss er her
der Eisberg aus A-las-ka
ganz und gar nicht neu
seit Faisal Co und Victor
hat all das Tradition
Eisberg schleppen
aus A-las-ka
wie ein Riesenschiff
oder ein versteinerter Wal der Urzeit
wurde er durchs Meer gezogen
an die Küste von A-ra-bia
ein Eisberg aus A-las-ka
er schwitzte tobte innerlich
diese Entführung ohne jedes Recht
er schmolz verendete
langsam tropfenweise
vergewaltigt angeschleppt
der Eisberg aus A-las-ka
Vom Kontinent Lateinamerika
3 Gedichte
Wolkenmelken war eine alte Kunst der Indianer im Norden Chiles. Echte Meister vermochten den Küstennebel zu melken. Es ist eine ausserordentliche Gegend mit 7 Monaten Wolken und bloss 70 Millimeter Niederschlag.
ein Regenmacher
lernt das Alphabet der Wolken
zum Himmel gewandt
jahrelang
wenn er
Wolken wie Bücher lesen kann
welche Weisheit besitzt er
wenn es nicht regnet
erst dann folgt subtile Praxis
das zarte Melken der Wolken
mit Netz im Kopf und Geist
auf Wassertropfenfang
am Rand der Trockenheit
Chiles Weinbaugebiete
der Rio Aconcacia
der Rio Malpo
der Rio Mataquito
der Rio Rapel
der Rio Maule
fliessen von den Traubenhängen
in den Pazifik
mit Chiles Schweiss und Tränen
und soviel Blut ist schon geflossen
dass viele vor Traurigkeit
diese tiefen Täler
als Fluch der Götter
empfinden
protzender Besitz
Geiern anvertraut
Pflücker trinken Wasser
immer wieder mit der Frage
Wein oder Blut
in allen Lüften
die Litanei geht weiter
Rio Maule
Rio Malpo
Rio
Rio Rio
Rio der Tränen
Am Rio Grande
es ist längst kein Fluss mehr
ein Ungeheuer einer Schlange
vermint elektrisch geladen
ein Strick des Todes
in between
zwischen Nord und Süd
der Rio Grande
heute Gitter hier und Gitter dort
sinnlos eingehagt
entzündet
als ob zwei Blitze fusionierten
Inkas und Amis
together
am Rio Grande
das ist kein Fluss
auch keine Grenze
dieser Rio Grande
er trennt Nord und Süd
das Schicksal
inhuman dazwischen
überall Rio Grande
Aus dem Kontinent Afrika
3 Gedichte
Die Tragödie Mosambik
Wenn ich an Mosambik denke…
sie warteten und warteten
auf Wasser und auf Regen
sie betetn und sangen
für Wasser
sie tanzten nach den Wolken dieser Welt
bis sie mit Zyklonen angefahren kamen
sich tagelang entleerten
es regnete und regnete
Wasser
es goss und goos in Kübeln
Wasser
bis alle schliesslich flehten:
Gott es ist genug!
Gott erbarm dich unser
und stoppe baldigst diesen Regen
aber es regnete unaufhörlich weiter
gnadenlos
Tag und Nacht
Wasser Wasser
weil wohl Gott die Wasseruhr verlegt
er wahnsinnig und verrückt
wütete und stöhnte
sogar aus Blut Wasser wurde
es blitzte und schlug ein
Angstschweiss floss
Wasser Wasser Ströme Fluten
später sagten Überlebende
mit vorgehaltner Hand:
hätten wir den Himmel bloss nicht so bestürmt
und ihn dabei im Spiel verwirrt
Am Karibastaudamm I
die einstigen Bäume
recken ihre Kronen verdorrt
noch immer aus dem Wasser
Fahnenstangen
zur Olympiade der Vergangenheit
Telefonstangen
luftschnappend in die Luft hinaus
Hörner
auf der Jagd verloren
Arme
mit dem Miserere nobis
zum Himmel
auf dem gestauten Wasser
nach 40 Jahren noch immer
Grabschmuck Vertriebener
der herumliegt
auf dem gestauten Wasser
Am Karibasee II
wer setzt die Trockenheit
ins Wasser
um sie langsam
versteinern zu lassen
die einstigen Bäume
sind zu spindeldürren
Ahnengeistern geworden
zu Totenpfählen
sind es Hieroglyphen
an die Zukunft
die keiner je wird lesen können
ein zerschränztes Requiemritual
mit dem überspulten dies irae
Holz das langsam versteinert
zum Pfahl von Totem wird
täglich unverständlicher
bis keiner mehr all das versteht
was ist
ein Gegenteil
einer mythischen Welt
wenn nicht
dieselbe Seite
einer versteinerten Zukunft
Fluss-
Quadrologie
I.
Wallfahrt zu den Flüssen
ganze Völker pilgern
sind unterwegs
wallfahren zu den heiligen Flüssen
bloss um in Schmutz zu baden
zusammen im heiligen Wasser
baden sie Kinder in Windeln
Kühe gar
sauber ist das nicht
aber
sie baden entschmutzen und enthäuten sich
um mitgenommen zu werden
zur Erneuerung ins Meer
II.
Gift in der Theiss
sie suchen gierig Gold
rücksichtslos
töten sogar den Fluss
wo Attila begraben liegt
zusammen mit der blonden Tisza
graben nach Reichtum
killen den Rest
ein Gift nach dem anderen
fliesst die Theiss hinunter
mordet so wie Attilas Truppe einst
statt Menschen Fische
zusammen mit der blonden Tisza
Tausende von Fischen
zyanidverseucht
krepieren wegen Gold
ein Gift fliesst übers nächste weg
Zyanid Zink et cetera
alle sagen zynisch bloss
wenn es im Meer ankommt
dann ist's vorbei
Leichen Fische
Tisza mit dem Tod
in der Barke
III.
Im Mississippidelta
Grauenhaft
ein Wahnsinn
in welchem Dreck
der Mississippi in tausend Armen
träg erschlafft verreckt
ins Meer auskippt
Gift und Galle
Rost und Schrott
Wein und BLUT
Schmutz der keiner
Wasser das gestorben ist
wie Sklaven einst
ganz verbraucht
zum Tod Verurteilte
an Tausend Kabeln hängend
ohne Seele übrig
in den Fluss geworfen
Blindes Los
tot gekotzt
kein Mitgefühl
Entsorgung nur
verbraucht
zerronnen
verendet
IV.
An den Flüssen Babylons
im Exil weinen Menschen
in Flüsse hinein
mit dem Heimweh und der Bitte
heimzukehren
Vielleicht saugen Wolken ihre Tränen auf
lassen später diese über ihr zuhause regnen
oder alles fliesst ins Meer
wo es weiteren Abfall gibt
hoffnungslos
Vom Kontinent Asien
Fern im Osten
5 Gedichte
Darjeeling
wenn Nacht für Nacht
der Tau auf den Tee sich legt
ganz sanft
dann ein leichter Nebel
wie ein Schleier
den Tee umhüllt
und wenn der Tau
himmlischen Saft in die Blätter
träufeln lässt
Blatt um Blatt
nach Nektar riechen
dann
weiss der Plantagenmeister
dass es nur Darjeeling
höchsten Grads sein kann
Kühe verdursten
er war sehr böse
nannte es unmenschlich
und aller Massstäbe verrückt
weil
dpa meldete
Tod von zehntausend Kühen
doch nichts von Menschen
doch
wenn im Westen Indiens Kühe sterben
dann folgen ihnen bald die Menschen
weil die Kuh am Anfang steht
Nordkorea
niemand weiss mehr
ob das Wasser vom Himmel fiel
oder ob es Tränen waren
Eins bloss wissen alle
dass Wasser dem Eis entfliesst
wo alles nur ewiges Eis
der Reis von Nord Koreas Hügeln
und den vorgelagerten Wiesen
darf nicht gegessen werden
abgegeben gestohlen verkauft
eigenen Reis zu essen
wäre Kannibalismus
das Verzehren der eigenen Traurigkeit
überall riecht es nach Kimchi
aus Sauerampfer
etwas Zukunft
die alle längst
vergessen
Am Mekong
Nach der Ernte von Reis
fliesst der Mekong zufrieden dahin
klar wird er nie
braun und schlammig stets
mit Blättern und Sträuchern
Fahnen schwimmen mit
wer am Ufer in den Mekong schaut
wird traurig melancholisch
denn er hat keinen Spiegel
du siehst dich nicht
und alles entflieht
der Mensch wird
mit einer Blüte im Strohhut
irgendwohin gehen
um zurückzukommen
In Vietnam
Wasserbüffel stapfen langsam träge
schwer durch den Schlamm
als ob sie Wasser pflügten
korpulent
vom Treiber
fast im Takt geschlagen
wozu?
wer fragt im Mekongdelta
nach dem Sinn
du erträgst wie der Büffel
stets geschlagen
vom Treiber
es wird nie eine Antwort geben
wozu?
der Wasserbüffel stapft dahin
ohne Eile
einfach für etwas Reis
der Kuli schlägt ihn
aber selbst der Büffel weiss
er muss es tun
wozu?
Schluss
Kuss
Wasser kräuselte im Sommer
Liebe tröpfelte
auf Körper
der Geliebten
ein Kuss
Wenn er sie küsste
war zuerst der Speichel
die Furt hindurch
bevor es die Liebe war
ein Kuss
***
&&&
Al Imfeld©
Überarbeitung 13. Juli 2000
für Rote Fabrik zur Matinee am 16. Juli
zusammen mit der musikalischen Komposition von Brigitta Fischer