Gantry 5

Historischer Hintergrund und einige Zahlen

Der Indische Ozean verbindet Afrika und den ‚Kontinent’ Indien. Schon seit alters gab es Handel zwischen den Zweien. Lange Zeit wurde sogar angenommen, dass viele Pflanzenzüchtungen aus Indien nach Afrika gelangten. Inzwischen hat die Wissenschaft erkannt, dass es niemals eine einseitige Verbindung war: Schon früh kamen auf dem afrikanischen Kontinent gezüchtete Pflanzen wie etwa Hirse oder Mango von Afrika nach Indien und wurden dann dort weiter gezüchtet und wieder nach Afrika gebracht.

Ein neues Kapitel war der Suaheli-Sklavenhandel. Die meisten indischen Fürsten und Maharaschas hielten seit dem 9. Jahrhundert afrikanische Pagen (so wurden die Sklaven genannt). Einige hatten sogar laut bildlichen Dokumenten Erfolg und kamen in höhere Positionen sowohl beim Militär als auch bei Herrschern.

Als der Portugiese Vasco da Gama einen Seeweg nach Indien suchte, ging er von Malindi aus; der Sultan von Malindi, ein Freund und Kenner Indiens, stellte da Gama einen Navigator zur Verfügung.

In Ostafrika leben viele Inder. Ihr Ursprung geht auf den britischen Eisenbahnbau von Malindi nach Kampala zurück. Die Briten holten für den , Bau Tausende von Indern nach Ostafrika. 90% kehrten nach Indien zurück. Andere blieben, weil die neue Bahnlinie kommerzielle Aktivitäten begünstigte. Indische Händler begannen nach und nach den gesamten Kleinhandel zu kontrollieren; Nairobi und Kampala besassen zu Beginn der 1960er Jahre ganze indische Quartiere. Auch Inder lebten wie die Chinesen unter sich und pflegten ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl.

Kleinhandelsmonopol und Separatismus liessen unter Schwarzen ein starkes Vorurteil gegenüber Indern entstehen. Es endete in einer Katastrophe 1972 unter Idi Amin, der alle Inder ausweisen und ihren Besitz konfiszieren liess. Später kehrten viele zurück.

Eine besondere Gruppe bildeten die Ismaeiliten mit dem Oberhaupt Aga Khan. Sie bauen und leiten teilweise heute Krankenhäuser, Universitäten, Aufbau einer unabhängigen Presse und sozialer Einrichtungen.

Im südlichen Afrika, besonders in Südafrika spielen Inder eine wichtige Rolle. Indien kann stolz sein, dass Mahatma Gandhi in Südafrika lebte und dort die Philosophie der Gewaltlosigkeit entwickelte und später den Unabhängigkeitskampf in Indien übernahm. In der ANC gab und gibt es noch heute eine starke indische Fraktion. Insgesamt leben heute etwa 1,2 Mio. Inder in Südafrika; das sind 2,78% der Gesamtbevölkerung. In Zimbabwe leben 16.700, in Botswana 9.000, in Malawi 5.000, Mozambique 21.000 und Zambia 13.000. (Diese Zahlen stammen von indischer Seite um 2005.)

Sehr stark von Indern geprägt sind die zwei Inseln Mauritius und die Seychellen. Mauritius kennt keine Urvölker. Sklavenhändler und indische Kaufleute benutzten sie als Zwischenhalt und Stützpunkt. Auf Mauritius sind 60% der Bevölkerung indischen Ursprungs; bei den Seychellen sind es 6.5%. Auch auf Madagaskar gibt es eine indische Minorität von etwa 30.000.

 

Indiens Afrika-Politik seit der Unabhängigkeit

Seit der Unabhängigkeit 1947 versuchte Indien eine starke weltpolitische Rolle zu spielen. Es war führend bei der G77 (Gruppe der Entwicklungsländer) und in der NAM (Non-Alignment Movement) seit der Gründung in Bandung 1955. Generell kann gesagt werden:

  • Indiens Aussenpolitik verhielt sich ganz verschieden von der Wirtschaftspolitik. Wirtschaftlich verhielt sich Indien nationalistisch und stark abgeschlossen.
     
  • Indien begriff Afrika als einen Block und ging nicht auf einzelne Länder ein.
     
  • Indien unterstützte alle Unabhängigkeitsbewegungen, ja sogar die Mau-Mau in Kenia Mitte der 50er Jahre. Inder spielten eine wichtige Rolle in Südafrikas ANC.
     
  • Indien gab sich stark in der Ablehnung der Apartheid.
     
  • Indien folgte den Prinzipien der Blockfreiheit, des Antikolonialismus, des Antirassismus und der Sicherung des Weltfriedens, also sehr allgemein oder prinzipiell.
     
  • Eine „Afrikapolitik“ im Sinne einer Strategie existierte nicht. Eine Ausnahme mag Südafrika, jedoch auch das aus mehr aus moralischen Gründen, gewesen sein.

 

Seit Ende des Kalten Kriegs

Seit 1989 nahm die Bedeutung der Blockfreien laufend ab. Es kam zu politischen und ökonomischen Umschichtungen etwa bei den G77 oder der UNCTAD; China kam in letzter Zeit mächtig zum Zug; Indien musste plötzlich auf der Hut sein, den Anschluss an den Welthandel nicht zu verpassen. Indien war traditionell sehr protektionistisch, monopolistisch, abgeschirmt und nationalistisch. In seiner Abgeschirmtheit konnte die Wirtschaft kaum Erfahrungen für einen weltweiten Markt sammeln. Afrika wurde ohnehin als irrelevant kaum wahrgenommen. Im Zeitalter des Neoliberalismus und der damit verbundenen Globalisierung waren diese isolierten Positionen nicht mehr haltbar.

Indien konnte Afrika nicht mehr als Block behandeln, denn es existierten nun 54 (56 laut UN-Zählung) Staaten, zudem musste es beginnen, die Diaspora einzubeziehen, denn Indien vernachlässigte bewusst die Bürger im Ausland und hatte stets etwas Angst, diese könnten entweder Indien in Misskredit bringen oder aber übertriebene Forderungen stellen. Inder assimilierten sich in Afrika– ausser vielleicht in Südafrika - nicht; liessen sich nicht bekehren; blieben - wenn sie es schon waren  - islamisch oder christlich, lebten unter sich, hielten zusammen und zogen so vielerorts Argwohn und Neid auf sich. Auf diesem Hintergrund versteht man das Zitat des indischen Ministers für spezielle afrikanische Verantwortlichkeiten: Our companies are ethically very correct, they invest money, they generate capital and they generate employment.

Der Handel mit Afrika war bescheiden; heute kritisieren manche ein ungenutztes oder brachliegendes Potential. Zwischen 1997 und 2003 gingen durchschnittlich nur 4,5% der Exporte auf den afrikanischen Kontinent. Höher lagen die Importe aus Afrika: 7.5%. Dieses Handelsdefizit bildet ein belastendes Problem.

Mit den Investitionen steht es nicht viel besser. Zwischen 1996 und 2004 flossen rund $2 Mrd. nach Afrika südlich der Sahara. Davon $1.01 Mrd. nach Mauritius und $912 Mio. nach dem Sudan.

Die Privatindustrie wird gefordert. Tata Motors will den afrikanischen Absatz seiner robusten Lastwagen, Busse und Autos forcieren. Bereits machtvoll vertreten sind indische Pharma-Produkte, wobei diese nicht immer einen positiven Beiklang haben, denn es gibt zu viele Fälschungen. Ähnliches gilt für den Landwirtschaftsdüngermarkt. Einen guten Ruf haben die westafrikanischen Papierfabriken. Orient Paper Mills Ltd. ist auch in Kenia tätig. In Tansania baute Hindustan Construction Co. Ltd. (Bombay) die Zuckerfabriken auf. Nicht sehr weit gekommen ist RITES (Rail India Technical & Economic Service Ltd.); aus den vielen Feasibility Studien in Nigeria, Ghana, Zaire und Tanzania ging selten eine Verwirklichung hervor. Wenig Erfolg hatte auch die indische Stahlindustrie auf dem Kontinent.

Indien fehlte einfach die Erfahrung nach so langer Abgeschlossenheit. Diese Unerfahrenheit kann nicht mit einer globalen Einstellung über Nacht aufgeholt werden.

Indiens staatliche und private Unternehmer kamen mit der afrikanischen Wirklichkeit nicht gut zurecht, trotz der oftmals wiederholten Beteuerung: In many ways India is like the African continent. Man bildete sich mehr ein als man handelte.

Seit Oktober 2004 ist Indien mit der staatlichen Ölgesellschaft ONGC Videsh Ltd. (OVL) auf dem Kontinent definitiv auf Ölsuche gegangen. OVL hat im Sudan mit den Chinesen, Malaysiern und Sudanesen zusammengespannt (je 25, 40, 30 und 5%). 2010 steht Indien zusammen mit China bereits an vorderster Front im afrikanischen Ölgeschäft. Mehr und mehr werden China und Indien Konkurrenten. Indien nahm Kontakte mit Angola, Nigeria und Elfenbeinküste (Öl im Atlantik) auf.

Indien versucht, nach der Financial Times Deutschland (13.1.2006) „das bessere China“ zu sein.

Könnte Indien durch seine lange Präsenz auf dem Kontinent bedingt und mit den Erfahrungen der Diaspora-Inder als Korrektiv wirken?

Indien will viel breiter als bloss mit Ölgeschäften präsent sein. 2007 sagt Anand Sharma, Aussenminister: Unsere Aktivitäten werden viel breiter als die der Chinesen sein... China ist nicht aktiv auf dem Servicesektor, im Gesundheitswesen, in der Erziehung, im Pharmabereich und bei der Telekommunikation. Wahrscheinlich könnte er solches 2010 nicht mehr sagen.

 

Signalwirkung

Anfangs 2010 fasst Indiens Mobilfunk-Riese Bharti Aitel in Afrika Fuss, indem diese für $10,7 Mrd. die kuwaitische Firma Zain kauft. Das gibt Bharti Zugang zu 15 afrikanischen Ländern mit einer Bevölkerung von etwa 450 Millionen. Zain hat bloss das Geschäft in Sudan und Marokko behalten. Zweimal zuvor hatte Bharti versucht, sich am südafrikanischen MTN zu beteiligen. Das 2. Mal war sogar eine Übernahme für $23 Mrd. geplant, die am Veto der Regierung platzte. Für Indien und seine Wirtschaft ist diese Übernahme ein sehr zentraler Schritt im mühsamen Prozess um vermehrte Präsenz auf dem afrikanischen Kontinent.

 

Schwerpunkte in der heutigen Lage

  • Indien öffnet sich vermehrt dem Welthandel und entdeckt Afrika als Absatzmarkt. Trotzdem ist es erst in der Phase des Sammelns von Erfahrungen.
     
  • Indien steht plötzlich im chinesischen Sog; auch es stellt fest, dass es afrikanische Rohstoffe braucht. In der indischen Presse werden laufend Vergleiche angestellt.
     
  • Indien tritt bereits z.T. gemeinsam (joint ventures) mit China in Afrika auf; das mag riskant sein, obwohl es nützlich war für einen Einstieg.
     
  • Der überwiegend im südlichen und östlichen Afrika beheimateten indischen Diaspora wird sowohl politisch als auch wirtschaftlich mehr Beachtung geschenkt werden müssen, denn Indien – so klagen Afrikas Inder – tat sehr oft so, als gäbe es sie nicht; es hiess, sie seien NRI – not required Indians; dem muss nun ein Ende sein: ihre zukünftige Rolle bleibt jedoch noch weitgehend unklar. Die „wohlwollende Neutralität“ im Mutterland reicht nicht mehr. Seit einigen Jahren gibt es nun Treffen mit Diaspora-Indern in New Delhi und Mumbai.
     
  • Indien will der Kultur eine wichtige Rolle zugestehen; Wirtschaft allein genüge nicht, heisst es. Indische Kulturzentren sollen ausser in Südafrika und Mauritius auch in anderen Ländern errichtet werden.
     
  • Indische Filme, die in Gesamtafrika beliebt sind, sollen event. vermehrt auf dem afrikanischen Kontinent gedreht werden.
     
  • Indischer Mode im Kontext der starken heimischen Textilindustrie will man mehr Bedeutung zumessen. Auch Küche kommt vermehrt ins Programm, denn Indien und Afrika könnten sich schon über Hühnerfleisch und rote Pfefferschoten leicht treffen.

 

Letzte Bemerkung

Das bekannte und weltweit geschätzte indische Wochenmagazin Economic and Political Weekly meint noch im November 2009 , dass „Indien auf dem afrikanischen Kontinent nur sehr schwer zurecht kommt, weil es zu lange fast mit Verachtung draussen blieb und nie auf seine Auswanderer setzte, ja sogar sich ihrer schämte. Diese Wunde wird nicht sofort heilen.“

 

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17.03.10, Al Imfeld